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2.2 Zhang Huiming und der Actionrealismus

1926 gründeten die Martial-Arts-Fans Zhang Huiming und sein Bruder das Huaju Studio, von dessen Produkten es heute noch drei Filme zu sehen gibt. Der erste Film, The Lustrous Pearl (1927), stand offenbar unter dem starken Einfluss der Abenteuerserien von Pearl White. Am Beginn des Films fischten vier Brüder zwei seltsam große Perlen aus dem Meer. Als sie aufs Land kamen, gab der älteste Bruder Zhang Xiong seiner Freundin Hu Zhiying und seiner Schwester die Perlen. Unzufrieden wurden die anderen drei jungen Männer,die dann Zhang Xiong und die zwei Frauen mehrmals gefährlichen Situationen aussetzten. Zhang Huiming spielte selbst Zhang Xiong und Wu Suxing, die mit den Huaju-Filmen zu einer der bekanntesten weiblichen Actionstars der 20er-Jahre wurde, spielte in dem Film die Freundin von Zhang Xiong. Die beiden waren im realen Leben auch ein Paar.

Während The Lustrous Pearl den ständigen Actionrhythmus von Sich-in-die-Gefahr-Begeben und dem Aus-der-Gefahr-Herauskommen der Pearl White Serien hatte, war es in The Lustrous Pearl die meiste Zeit der männliche Protagonist selbst, der sich der Gefahren aussetzte und nur mit seiner außerordentlichen körperlichen Fähigkeit der Gefahr wieder entkam. Einmal schlossen die drei jungen Brüder Zhang Xiong und die zwei Frauen in einem großen Haus ein und zündeten eine Bombe. Zhang und die zwei Frauen kletterten durch den Schornstein des Hauses aufs Dach und sprangen direkt von dem Dach herunter auf den Grund, bevor die Bombe platzte. Während das Springen der Frauen mit einem Schnitt erzeugt wurde, sprang Zhang Xiong wirklich, d. h., sein Springen wurde in einer Einstellung gefilmt. Ein anderes Mal wurde Zhang von den drei jungen Männern gefesselt auf einem Felsenriff im Meer nah der Küste ausgesetzt. Die Männer fuhren in ihrem Boot weg und ließen ihn in den Fluten des Meers ertrinken. Es war seine Freundin, die zu dem Riff schwamm und ihn befreite. Dann schwammen sie zusammen zurück. Das Schwimmen galt damals als eine besondere exotische „physische Technik“ (siehe das Zitat von Gu Kengfu auf Seite 17)。

Ein anderes Mal lockte einer der jungen Brüder Zhang Xiong in ein Tal. Nachdem er mit einem Seil heruntergeklettert war und den Grund des Tals erreicht hatte, schnitt der junge Bruder das Seil durch und ging weg. Es war wieder seine Freundin, die ihn fand. Sie befestigte ein Seil an einem Stein und schmiss das andere Ende des Seils zu Zhang herunter. Zhang kletterte mit dem Seil an der extrem steilen Bergwand hoch, während in der parallelen Montage Hu mit den drei Brüdern kämpfte, die das Seil aufknoten wollten.

Es war für Zhang Huiming sehr wichtig, dass er sich direkt in der Mitte der Gefahr befand und die gefährlichen Actionnummern selbst ohne Stunts machte. In dem Artikel Tan yingpian zhong zhi wushu (Die Martial Arts im Film), der in dem Magazin Huaju Tejuan 1927 veröffentlicht wurde - das Magazin wurde von Zhang Huimings Huaju Studio selbst herausgegeben -, plädierte der Autor Cheng Yan für den Realismus des Actiongenres und erwähnte dabei die Filme von John Barrymore, Douglas Fairbanks und Zhang Huiming als Beispiel.In diesem Text unterscheidet Cheng Yan zwei Arten von Filmen: die„leichten“ und die „nicht leichten“. Die erste Art von Film bezog er auf das Genre des Melodramas und des romantischen Dramas. Wir haben leider keinen dieser Filme aus dieser Zeit überliefert bekommen, die damals unter dem Begriff „Mandarin Duck and Butterfly“ bekannt waren. „Mandarin Duck and Butterfly“ bezeichnete ursprünglich das populäre Literaturgenre, das in dem ersten Jahrzehnt des 20.Jahrhunderts entstand. In den 20er Jahren stellte die Filmindustrie einige bekannte Autoren dieses Genres ein und ließ sie die Geschichte und Zwischentitel für den Film schreiben. Aber eins musste sicher zu sein: Es musste bei diesen Filmen schon ziemlich viel geweint werden.Mingxings Chef Zhang Shichuan, der zu dem Zeitpunkt ziemlich viel „Mandarin Duck and Butterfly“-Film produzierte, hatte die Psychologie seiner weiblichen Zuschauerinnen gut erforscht, für die der „Mandarin Duck and Butterfly“-Film auch gemacht worden war:

Wenn die Damen und die Fräulein nicht von dem Film zum Weinen stimuliert werden, finden sie den Film nicht gut; aber wenn die Geschichte zu dramatisch läuft und am Ende jemand stirbt und die Familie kaputt ist, dann fühlen sie sich zu traurig und möchten den Film auch nicht sehen. Der Film muss sie sowohl zum Weinen als auch zum Lachen stimulieren. Dann stürzten sie bestimmt zur Kasse,wenn der neue Film kam.

Nach Cheng Yans Meinung sei die „Technik“ des Melodramas,die Darstellung von Emotionen und Gefühlsäußerungen, wie„Weinen“, „Lachen“, „traurig“ und „klagend“, gegenüber der der Martial-Arts, leicht. Dazu käme noch, dass die Emotion in dem Melodrama künstlich, also falsch erzeugt werden könnte:

Früher dachte man, dass, wenn einem die Tränen kommen,eine Sache ist, die nicht leicht ist. Später gibt es den Ersatz und wir wissen auch dann, dass Honigtropfen der Ersatz für die Tränen sind. „Die wirkliche Träne“ - man darf es nicht verallgemeinern, vielleicht gibt es auch wahre Tränen, das soll man nicht ganz bestreiten -, ist aber nur so.

Dagegen gibt es keine falsche Martial-Arts-Performance im Film:

Für Martial-Arts gibt es keinen Ersatz, und das ist der Grund,warum Martial-Arts-Performance nicht leicht ist. Wenn es zu Problemen kommt, gibt es dann einen Ersatz für physische Aktionen wie den „Kampf “ oder den „Fall“ etc.? Kann man es ohne richtige Kraft machen? Kann man so tun, als ob sie schlägt und fällt? Wir sagen natürlich nein, weil, wenn es nur ein bisschen so geht, und das wird gefilmt, dann fühlt man nicht wie „real“, nicht wie „spannend“。

Cheng Yan setzte dem „leichten“, künstlerischen Emotionsspiel(den Honigtränen) den gespannten Körper des harten Actionfilms entgegen (der Kampf, der Fall), der ihm absolut real erschien.

Chen Yan war nicht der erste Chinese, der den absoluten Realismus der speziellen Körperperformance des Films vorführte.In dem Vorwort der ersten Ausgabe des frühesten chinesischen Filmmagazins Yingxi zazhi (Das Magazin für das Schattenspiel) am 1.4.1921 beschrieb der Herausgeber Gu Kenfu die einzigartige Eigenschaft des Films als „Bizhen“, das heißt, nah an der Wirklichkeit.Diese Eigenschaft schlug sich für ihn zuerst in manchen speziellen exotischen Körperperformances im Film nieder:

Spielen in dem Film ist nicht einfach. Es gibt in den importieren Filmen aus Europa und Amerika immer solche Stellen, wo das wirkliche Können gezeigt wird. „Schwimmen“, „Reiten“, „Rudern“, „Fliegen im Flugzeug“, „Fahren mit dem Auto“ … alle diese Techniken müssen die Schauspieler können. Sie sehen diese als Grundkenntnisse und können es nicht einfach so, sondern richtig gut. Auch die anderen Sachen, die für uns ganz schwer zu machen scheinen, sind aber für sie ganz normal, sodass jeder es kann. [1]

Gu Kenfu erklärte seinen realistischen Eindruck von der filmischen Präsentation der von ihm genannten Aktivitäten der Westler dadurch, dass er eine Identität zwischen dem Profilmischen und dem Filmischen feststellte: Die Aktivitäten der Schauspieler auf der Leinwand schienen real zu sein, weil die Schauspieler es in ihrem wirklichen Leben auch genau so taten. Dabei ist anzumerken, dass alle diese exotischen Aktivitäten, die er in seinem Text auflistete,ausdrücklich das Bewegungsmotiv enthielten. Gu Kenfu machte zwar keinen Unterschied zwischen Bewegungen, die von den biologischen Körpern hervorgebracht werden (Schwimmen, Reiten und Rudern),und den maschineller/dinglicher Bewegungen, die durch den Motor in Gang gesetzt werden (das Fahren und das Fliegen) - es seien alles Sachen, die man mit spezieller physischer „Technik“ tun oder meistern konnte – dennoch zeigte seine Liste deutlich eine steigende Tendenz von Bewegungsintensität und -geschwindigkeit. In seinem Text stellte er noch den von ihm hervorgehobenen realen Effekt dieser speziellen Art westlicher physischer „Techniken“ des Films dem Effekt der physischen und mimischen Technik des traditionellen chinesischen Theaterspiels gegenüber. Die Letzte schien ihm nun ganz übertrieben zu sein, da niemand in dem wirklichen Leben auch so handele. Diese Techniken sollten nicht in den Film hineingenommen werden.

In dem anderen Huaju-Film, The Vallant Girl Nicknamed White Rose (1929), versuchte Zhang Huiming, die „physische Technik“von Douglas Fairbanks zu entschlüsseln. In dem Film verkleidete sich die Protagonistin, gespielt von Wu Suxing, als Mann - ihre Verkleidung wurde offenbar von Fairbanks Zorro inspiriert - die westliche Sportarten wie Bogenschießen und Fechten gut beherrschte.Mit solchen exotischen physischen „Techniken“ schlug sie die Banditengruppe nieder, die die Farm ihrer Familie besetzt hatte. Es gab am Anfang des Films eine seltsame Szene von „The girls physical exercise“, in der eine Gruppe von Mädchen in einer modernen Station solche merkwürdigen Übungen machte, die choreographisch nach einer Mischung von Tanzen und Akrobatik aussahen. Dazwischen wurden die Detailbilder der Protagonistin in die Bilder der Gruppenübung eingeschnitten, die verschiedene akrobatische Programme aus dem Rhythmus der Gruppenshow trainierte - sie war ganz gespannt und machte alles viel härter und intensiver (Abb. 2.5-2.8). Nach der Show wurde sie als die beste Schülerin ausgezeichnet. Wenn sie da in übertriebener schneller Geschwindigkeit jonglierte, fiel die „nicht leichte“ Körperspannung besonders auf, da es gerade bei der Akrobatik um das Gefühl von Leichtigkeit geht. Auch in dem Film wurde die Leichtigkeit vermisst, die Fairbanks in der Rolle seiner Out-LawHelden, wie Zorro oder Robin Hood, durch eine außergewöhnliche Leichtigkeit und Körperbeherrschung hervorbrachte. Das gilt bis auf eine einzige Stelle vielleicht, in der Wu Suxings kleiner, weiblicher Körper selbst Leichtigkeit ausstrahlte.

In dem dritten Huaju-Film, An Orphan of the Poor (1929), setzte Zhang Huiming die Sensation seiner Körperaction fort, die ohne Stunts gemacht wurde. Er spielte in dem Film den Helden Yang Dapeng und begab sich bei seiner Rettungsaktion wieder selbst in Gefahr. Die Bösen schmissen ihn von einem Berg direkt in das Eiswasser, und er schwamm eine ganze Strecke um den Berg, bis er eine Stelle erreichte, wo er aufsteigen konnte.

Wu Suxing spielte in dem Film das arme Mädchen Hu Chunmei. Die Waise Hu Chunmei heiratete unfreiwillig den Mann,der so hässlich war, dass sie bei dem ersten Anblick am Tag der Hochzeitsfeier fast ohnmächtig wurde. Die anderen Familienmitglieder behandelten sie schlecht. Die Schwester ihres Manns quälte sie vor allem körperlich und kniff sie in den Arm und Rücken, wenn sie dachte, sie arbeitete schlecht. Sie flüchtete deshalb von zuhause. Die nun obdachlose Frau erweckte das Mitleid des jungen Herrn Yang Dapengs, als er sie von der Schiene knapp vor einem vorbeifahrenden Zug rettete. Er bot ihr Arbeit als Haushaltshilfe an und nahm sie mit nachhause. Dort wurde sie jedoch nicht besser behandelt. Da ihre Gedanken manchmal woanders waren, wenn sie an ihr erbärmliches Schicksal dachte, passierte ihr dann das Unglück, dass sie die Sache zertrümmerte. Das zog ihr die Wut der unsympathischen Schwester von Yang Dapeng zu, die sie dann prügelte und in den Arm kniff.Nachdem die Familie Hu ihr eine Affäre mit dem jungen Herrn unterstellte, wurde sie von Yangs Vater gekündigt und in einer regnerischen Nacht aus dem Haus vertrieben. Die folgende Szeneähnelte auf den ersten Blick der Szene der Rettung in letzter Minute in Griffiths Way Down East , der ein großer Erfolg in den chinesischen Großstädten war. In Way Down East brachte der reiche Großstädter Lennox nach einer vorgetäuschten Heiratszeremonie das Dorf-Mädchen Anna dazu, mit ihm zu schlafen, wurde aber danach von ihm verlassen.Sie brachte allein ihren Sohn zur Welt, der bald starb. Nach dem Tod ihres Babys machte sie sich allein auf dem Weg in den weiten Osten.Sie fand einen Job auf einer Farm, wurde aber dann von dem Vater der Farmfamilie fortgeschickt, nachdem er von ihrer Vergangenheit gehört hatte. Wieder machte sich Anna allein auf den Weg in einem großen Schneesturm und brach schließlich bewusstlos auf dem Eis eines zugefrorenen Flusses zusammen. Auch Hu zog allein im strömenden Regen durch das Feld, wobei der Regen auf dem Bildstreifen gemalt wurde, und gelangte danach auf einen vereisten See. Bei Griffith stieg die Spannung vor allem durch die Montage, die die Simultaneität zwischen zwei zerlegten Bildräumen erzeugte: des schmelzenden Eises, das sich mit dem Fluss zu einem Wasserfall bewegte, und der bewusstlosen Anna und David, die sich auf dem Eis bewegten. Der Bildraum in An Orphan of the Poor , in dem Hu auf dem Eis wanderte, war dagegen wesentlich kontinuierlich. Der zerbrechliche weibliche Körper verlor auf der grenzlosen, rutschigen und unebenen Eisfläche dauernd die Körperbalance. In einer totalen Einstellung zeigte der Film unzerlegtnur eine Nahaufnahme von Hu wurde mitten in den Bewegungsablauf geschnitten - dass sie sich von links hinten dem Bildraum mühsam und wacklig nach vorne zu der Kameraposition bewegte und zum Ende vor der Kamera auf das Eis fiel. Mit dem dauernden Ausrutschen und Aufstehen nimmt der Zuschauer ihren dünnen zierlichen Körper umso stärker wahr (Abb. 2.9-3.2)。

Auch in der folgenden heroischen Rettungsaktion, die Zhang Huiming mit der Parallelmontage im Griffiths-Stil der Rettung in letzter Minute drehte, ließ sich die Spannung schließlich auf die Körperspannung zurückführen. Hu wurde von den Kriminellen entführt, nachdem der junge Herr Yang Dapeng sie von dem Eis zurückgeholt hatte. Da sie ablehnte, sich den Kriminellen zu unterwerfen, wurde sie von ihnen mit zwei giftigen Echsen zusammen eingeschlossen. Dem Bild, in dem Hu erschrocken rückwärts entwich,folgte die Großaufnahme der herankriechenden Tiere. Denn noch gab es hier keinen systematischen Einsatz von parallelen Montagen zwischen Hu Chunmei und den Tieren. Stattdessen war die Steigerung der Spannung direkt an ihrem ständig sich bewegenden Körper zu spüren. Sie sprang immer heftiger hin und her, hatte in der engen Zelle aber keinen Platz, zu entweichen. Dem Zuschauer wurde nicht gezeigt,wie die Tiere ihr immer näher kamen bis auf die Haut, es wurde eher durch den eigenen Körper gefühlt. Yang Dapeng, der gleichzeitig in den geheimen Ort der Kriminellen einbrach, um Hu zu retten, holte sie erst heraus, als die Tiere bereits an ihrem Körper hochgekrochen waren (Abb. 3.3-3.6)。

[1] Gu Kenfu 顾肯夫, Fakan ci 发刊词 (Das Vorwort), in: Yingxi zazhi 影戏杂志(Das Magazin des Schattenspiels), Nr. 1, 1921. avtZM2urh4IPZLhEyen3toSuVOVEpCVAHCKs6k4JKJPVmIuyLg+xWS8D7YDsYw6H

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