Für das chinesische Kino der 20er-Jahre war Hao Yao eher ein seltener Fall. In den 20er Jahren galt der Film für die chinesischen Intellektuellen als die absolute „Low-Brow-Art“. Als Hong Shen nach seinem amerikanischen Studium zurückgekehrt war und dann entschied, sich dem Mingxing-Studio anzuschließen, spottete sein Freundeskreis, dass er sich mit seiner Kunst „prostituierte“. Und Hou Yao war ein Intellektueller. Er hatte Pädagogik studiert und war Mitglied des „Wenxue yanjiuhui (Verein der Literaturforschung)“, der die früheste und einflussreichste Organisation in der Neue-Literatur Bewegung war. Hou Yao drehte zuerst Filme bei dem Changsheng-(die Große Mauer)-Studio, das von den Überseechinesen gegründet wurde.Sein Film aus dieser Zeit wurde mit dem Namen „Problemfilm“bezeichnet. Denn laut dem Studio und Hou You selbst wollten sie in dem Film die „gesellschaftlichen Probleme“ thematisieren, die in China dringend eine Lösung finden mussten. Einer seiner damaligen„Problemfilme“, The Pearl Necklace (1926), ist bis heute überliefert.Den Film adaptierte Hou Yao aus Maupassants La Parure. Er wollte durch den Film die Falschheit der Menschen kritisieren. Die Lektion,die er aus Maupassants La Parure zog:
Jeder hatte die Angst, dass die anderen auf ihn herabblickten.Sie trachten deshalb nach luxuriösen Waren und putzten sich damit heraus. Xiuzhen ging nur mit Schmuck zur Party, da sie Angst hatte,dass die anderen auf sie herabblickten. Rulong machte bei Meixian einen Heiratsantrag nur mit der Perlenkette, die er gestohlen hatte, da er die Angst hatte, dass sie auf ihn herabblickte. Nachdem Yusheng aus dem Gefängnis herauskam, gingen alle seine Verwandten und Freunden ihm aus dem Weg. Es waren solche Sitten, die man auf den Weg dieser Falschheit schickte. [1]
Die Schwierigkeit von Hou Yaos „Problemfilm“ war aber,dass der Film statisch wirkte. The Pearl Necklace hatte überwiegend Innenraumszenen, die wesentlich immer in zwei Einstellungsgrößen gezeigt wurden - die Halbnahe, wenn die Figuren miteinander redeten,und die Halbtotale für den Rest der Zeit (Abb. 3.7-3.8)。 Andere Mittel schien man einfach noch nicht zu haben. In ihrem Artikel Kuahai de „Changcheng “ : cong jianli dao tanta “ (Die Seebrücke „Changchen “:vom Bau bis zum Zusammenfall) suchten Cheng Mo und Xiao Zhiwei den Grund für das plötzliche Verschwinden des Changcheng-Studios zum Ende der 20er-Jahre. Dabei schrieb sie in dem Text, dass Hou Yous „Problemfilm“ in der Tat nicht von den Zuschauern gemocht wurde und das Changcheng-Studio danach eine Umorientierung planen musste. Das sei wahrscheinlich auch der Grund, dass Hou You Changcheng 1926 verließ。 [2] Zu erwähnen ist aber die Attraktionsszene zu Beginn in The Pearl Necklace . Die Szene war relativ unverbunden zum weiteren Verlauf des Films und rein visuell, in der das Glänzen und Glitzern der Metropole Shanghai in ein abstraktes Bewegungsbild des Lichtes verwandelt wurde. Für den Dreh wurde die Kamera in einem fahrenden Auto, das abends durch eine belebte Straße Shanghais fuhr, platziert. Während der Fahrt wurde die Kamera so sorgfältig gehalten (manchmal sogar leicht geschwenkt), um die Lichtquellen der Straße so ins Bild bekommen zu können, dass ein Lichtfluss hervorgebracht werden konnte. Es wurde keine künstliche Beleuchtung für den Dreh verwendet, und das Ergebnis war unerwartet interessant. Auf dem schwarzen Bild war nahezu nur die Kontur der Straße zu sehen, die vom Licht gebildet wurde - dem Neonlicht der Gebäude an der Straße, den leuchtenden Straßenlaternen und dem Licht des Scheinwerfers der Autos. Alle diese Lichter mündeten in einen dem Zuschauer entgegenfließenden Lichtfluss (Abb. 3.9-4.0).Danach wurde das Bewegungsbild in das statische Bild der ersten Innenraumszene des Films, dem Wohnzimmer von dem Protagonist und der Protagonistin, überblendet.
Im Jahr 1926 wechselte Hou Yao zu Li Minweis Minxin-Studio und drehte den auf der gleichnamigen Oper der Yuan-Zeit basierenden Kostümfilm The Romance of the West Chamber . Die heutige überlieferte Version des Films ist die Exportversion mit französischen Zwischentiteln, die das Studio für die Überseevermarktung extra herstellte. Aus dem originalen Film von Hou You, der eine Dauer von zwei Stunden hatte, machte Minxins Chef Li Minwei einen ca.50-minütigen Film.
Zu Beginn des Films besuchte der Gelehrte Zhang Sheng auf seiner Reise den Puji-Tempel. Dort begegnete er Cui Yingying,der schönen Tochter eines verstorbenen hohen Beamten, die sich mit ihrer Mutter in dem Tempel aufhielt. Zhang verliebte sich sofort in Cui Yingying, litt aber darunter, dass er sie kein zweites Mal treffen konnte.Der berüchtigte Bandit Sun Feihu wollte Cui Yingying festsetzen und drohte allen, in den Tempel mit seinem Banditentrupp einzufallen, wenn sie ihm Cui Yingying in drei Tagen nicht übergeben würden. In dieser Notsituation kündigte die Mutter von Cui Yingying an, dass, wer die Krise löste, würde Cui Yingying heiraten. Zhang Sheng sagte ihr dann, dass er einen Brief an seinen Freund, dem General Du schicken würde und bat um seine Hilfe. General Du konnte mit seiner Armee in der letzten Minute den Tempel erreichen und Sun Feihus Banditentruppe zurückschlagen. Der Rettungskrieg in letzter Minute in Parallelmontage wurde in der stark gekürzten Version als der Höhepunkt des Films dargestellt. In Paris 1928 wurde der Film von dem Studio in der Vermarktung auch als „Way Down West“ propagiert.
In The Romance of the West Chamber bediente sich Hou You der Übertreibungstechnik mit filmischen Mitteln, wenn er die Psyche des Protagonisten Zhang Sheng darstellte. Für Kristine Harris wirkte der Film deshalb schon wie ein amerikanischer narrativer Film, in dem das Narrative psychologisch motiviert wurde:
At many points, the young scholars vision virtually „narrates“the film. In tension with that visual authority, Hou Yao also emphasizes the way Zhang’s sight of Yingying is obstructed. The tension helps drive the plot forward. [3]
Als Beispiel wählt sie die Szene, in der Zhang Sheng Cui Yingying zum ersten Mal traf. Der Film zeigte zuerst die Nahaufnahme von Zhang Shengs starrenden Blick. Er bewegte dazu noch seine Augenbrauen und zwinkerte die Augen in leicht übertriebenem Maß, was ein bisschen komisch aussah. In dem folgenden Bild bedeckte Cui Yingying sofort ihr Gesicht mit dem Fächer. Ihr Dienstmädchen kontrollierte daneben, ob der Fächer das Gesicht ihrer Herrin gegen Zhang Shengs Blick gut verdeckte. Mit dem Fächer vor dem Gesicht gingen die beiden Frauen leicht weggedreht an Zhang Sheng vorbei und verschwanden hinter einer Rundtür. Bevor sie durch die Tür ging, wurde die Großaufnahme von Cui Yingying eingeschnitten, in der sie ganz kurz zurückguckte.Danach machte das Dienstmädchen die Tür vor Zhang Shengs Augen zu, während der kleine Mönch, der Zhang Sheng die ganze Zeit begleitete, ihn von der Tür wegziehen wollte (Abb. 4.5-4.8)。
Durch diese Serie der Reaktionen auf den Blick Zhangs in Zeichen der Blockierung wirkte sein Blick jedoch noch männlicher und eindringlicher. Er hatte damit auch sofort das Herzen der Frau erobern können, die seinen Blick erwiderte. In der Nacht des großen Krieges hatte Zhang Sheng einen Traum. In dem Traum kam der Bandit Sun Feihu in sein Zimmer und nahm ihm Yingying mit Gewalt weg. In der Angst und der Wut griff Zhang Sheng seinen Schreibpinsel auf dem Tisch, merkte aber dann voller Enttäuschung, dass der Pinsel ihm in dieser Situation nichts nützte: Hier kam seine Tagesdepression zum Ausdruck, dass er als Gelehrter nicht selbst an dem großen Kampf teilnehmen, sondern nur zuschauen konnte. Plötzlich verwandelte sich der kleine Pinsel in seiner Hand mit Stopp-Motion-Effekt in den Pinsel von solcher Übergröße, dass Zhang Sheng gleich anfing, den Pinsel wie eine Waffe zu schwenken. Durch die Doppelblichtung ritt Zhang auf dem Pinsel und flog vor einem künstlichen Himmel. Er holte Sun Feihu mit Cui Yingying ein. Mit dem riesigen Pinsel kämpfte er gegen Sun Feihu, bis er ihn auf den Boden aufschlug (Abb. 4.5-4.9)。
[1] Hou You 候曜, Yichuan zhenzhu de sixiang 《一串珍珠》的思想 (Der Gedanke von „The Pearl Necklace”), in: ZWD, S. 299.
[2] Cheng Mo 陈墨, Xiao Zhiwei萧知伟, Kuahai de “ changcheng”: cong jianli dao tanta – Changcheng huapian gongsi lishi chutan 跨海的“长城”: 从建立到坍塌- 长城画片公司历史初探 (Die See-überbrückende Großmauer: vom Aufbau zum Einsturz – Die Geschichte der Changcheng-Filmgesellschaft), in: Dangdai dianying 当代电影 (Contemporary Cinema), 2004 (03)。
[3] Kristine Harris, The Romance of the Western Chamber and the Classical Subject Film in 1920s Shanghai , in: Yingjin Zhang (Hg.), Kino and Urban Culture in Shanghai , 1922-1943, California 1999, S. 63.