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Die Insel

D aß dies das Leben sei, war eine Annahme, zu der Rönne, einen Arzt, das von leitender Stelle aus Geregelte seiner Tage, das staatliche Genehmigte, ja Vorgeschriebene seiner Bestimmung wohl berechtigte.

Tat es etwas, daß die Insel klein war, übersehbar von einem Hügel, ein Streifen Stein zwischen Möwen und Meer — es gab das Gefängnis da mit den Sträflingen, daran Arzt zu sein er ausersehen, und dann gab es Strand, eine große Strauchwiese voll Gezwitscher, ein Vogelhort, und weiter unten ein elendes Dorf mit Fischern, das allerdings galt es noch näher zu beleuchten.

Ein Rachen war bepinselt, einer Meineidigen das Knie massiert, da erhob sich Rönne und verließ das ummäuerte Gehöft. Davor lag weißer Strand; darauf blühte Hafer und Distel; denn der Sommer war über das Meer gekommen wie ein Gewitter: der Himmel donnerte von Bläue und es goß Wärme und Licht.

Unter Gedanken, wie die freie Zeit, die ihm nach Erledigung seiner Dienstpflichten zur Verfügung stand, zweckmäßig zu verwenden sei, welches ihr Sinn sei in Hinsicht des Staates und der Person, schritt er aus. Er atmete tief die reine Seeluft ein, die schmächtige Brust ihr entgegen spülend, dem Gesundheitlichen, das die bekanntermaßen dem Wanderer bot, willig hingegeben. Eins fühlte er sich mit dem Geiste, der ihn hier herberufen und gestellt, der sich ohne Zaudern zur Sicherstellung der vorwärtszielenden bürgerlichen Verrichtung entschloß; der dem Schutze galt, die die Öffentlichkeit dem strebenden Bemühen schuldete, mit einem Wort: der die Ausmerzung des Schädlings anstrebte, ohne jedoch selbst hier außer acht zu lassen das allgemein Menschliche noch des Gefallenen und in einer Art stummer Anerkenntnis des großen allumschließenden Bandes des Seelischen schlechthin nicht die Vernichtung wollte, sondern den Arzt beigab.

Und nun, die karge Schindel der ersten Hütte, war sie nicht Hut gegen Sturm und Regen, der Unbill Abwehr, Traute und Behaglichkeit bedachend? Das Netz, das vom Fang kommend der Gatte ausbreitete, sorgsam über Pfahl und Stein, war es nicht umwittert vom Geruch der Diele, wo es sich vollzog, das Natürliche, das Urgesunde? Und nun wehte gar ein Windstoß an eine Ölkappe, und ein Arm griff an die Krempe —: jawohl, auf Reize antwortete hier Organisches; betrieben wurden seine Symptome: der Stoffwechsel und die Vermehrung; der Reflexbogen herrschte, hier war gut ruhn.

Vor einer Kneipe saßen Männer. Ihr Sinn? Sie saßen! Sie gingen nicht, sie schonten Kraft. Sie tranken aus Krügen! Reine Lust? Niemals! Nährwert war nicht zu leugnen. Und wenn? Erholung von Mann zu Mann?! Erfahrungsaustausch?! Bestätigungen!!!?

Und der Düstere abseits? Der Grübeler, der sich ernster nahm? Flammte nicht auch auf seiner Stirn noch durch das Dämonische, selbst gegen Götter gerichtet, der geschlossenere Akt, der stärkere Aufbau, das Lichtbringerische in eventuellen Abgrund?

Kurz und gut: lauter Wahrnehmungen, die wohl befriedigen durften. Nirgends eine Störung, überall Sonne und heller Ablauf.

Rönne setzte sich. Ich habe etwas freie Zeit, sagte er sich, jetzt will ich etwas denken. Also, eine Insel und etwas südliches Meer. Es sind nicht da, aber es könnten da sein: Zimtwälder. Jetzt ist Juni, und es begönne die Entborkung, und ein Zweiglein bräche dabei wohl ab. Ein überaus lieblicher Geruch würde sich verbreiten, auch beim Abreißen eines Blattes ein aromatisches Geschehen.

Denn alles in allem: vier bis sechs Fuß hohe Stauden, weiche grüne lorbeerähnliche Blätter, indeß der Blütenstempel gelb getönt ist. Ist der Schößling daumenstark, tritt die Einsammlung heran und es erfordert viele Hände, Bündel, krumme Messer, Rinde und Bast; mit diesen Worten ist manches schon erwiesen, aber erst in der Hütte wird das Häutchen abgeschält.

Ja, das war eine Insel, die in einem Meer vor Indien lag. Es nahte sich ein Schiff, plötzlich trat es in den Wind, der das Land umfaßt hatte und nun stand es im Atem des bräunlichen Walds. Der Zimtwald, dachte der Reisende, und der Zimtwald, dachte Rönne. Schneeweiß war der Boden, und die Staude saftig. Und durch die Insel schritt er, zwischen Roggen und Wein, abgeschlossen und still umgrenzt. Sein Urteil ist Begehren, der Satzbau Stellung nehmend. Er grübelt, doch über die Polle einer Pflanze, denn er ist gewillt, sie einzusäen. Ferne ist die Zeit der Trauer, da er in der Bahn hierher fuhr mit den Damen: das ist sehr hübsch hier, sagte die Mutter zu den Töchtern, seht doch mal! und nun verarbeiteten sie aus den Kupeefenstern heraus die Hügelkette, matt im blauen Dunst, davor das Tal und eine Stadt, die hinter Wäldern und Klee versank; denn wenn die Mutter es nicht gesagt hätte, mußte Rönne immer denken, wäre der Aufstieg nicht erfolgt.

Hier aber herrschten keine solchen vagen Ausrufe. Hier wurde hingenommen, was ins Auge traf. Sachliche Verarbeitung trat ein in bezug auf ein Netz, im Hinblick auf eine Reuse. Und auch wenn er wie eben etwas dachte, lag Andersartiges vor, keine Bereicherung, mehr ein Traum.

Hell saß er am Strand. Er fühlte sich leicht und durchsichtig und schien sich nicht mehr unsauberer zu sein als ein bewegter Stein, als ein abgerundeter Block, gehalten von einer leichten Organisation.

Und wenn er auf die Insel aus dem Gefühl einer Aufgabe heraus gekommen war, an Gegenständen, die er möglichst isoliert unter wenig veränderlichen Bedingungen beobachten konnte, den Begriff nachzuprüfen, so spürte er jetzt schon etwas wie Erfüllung: Die Begriffe, schien ihm, sanken herab. Wie hatte zum Beispiel Meer auf ihm gelegen, ein sprachlicher Bestand, abgeschnürt von allen hellen Wässern, beweglich, aber doch höchstens als Systemwiesel, das Ergebnis eines Denkprozesses, ein allgemeinster Ausdruck. Jetzt aber, schien es ihm, wanderte er dahin zurück, wo es unabsehbare Wässer gab im Süden und im Norden brackige Flut, und Wellen eine Lippe unerwartet salzten. Leise schwand der Drang, es schärfer aufzurichten, es unantastbarer zu umreißen gegenüber Dünen und einem See. Leise fühlte er ihn vergessen, ihn zurückerstatten an seine Wesenheit, an die Möwe und den Tang, den Sturmgeruch und alles Ruhelose. — — — — —

Rönne lebte einsam seiner Entwicklung hingegeben und arbeitete viel. Seine Studien galten der Schaffung der neuen Syntax. Die Weltanschauung, die die Arbeit des vergangenen Jahrhunderts erschaffen hatte, sie galt es zu vollenden. Den Du-Charakter des Grammatischen auszuschalten, schien ihm ehrlicherweise notwendig, denn die Anrede war mythisch geworden.

Er fühlte sich seiner Entwicklung verpflichtet und die ging auf Jahrtausende zurück.

Die Umgestaltung der Bewegung zu einer Handlung unter Vorwegnahme des Zieles lag im Unentschleierbaren, wo der Mensch begann. Das war gegeben. Auch daß er hin und her die Augen aufschlug: in helle Himmel, über Wüsten, am Nil, und an den Myrtenlagunen die Geigenvölker — — aber hier im Norden drängte es zur Entscheidung: zwischen Hunger und Liebe war der dritte Trieb getreten. Aus dem schlechten Atem der Asketen, aus ermatteten Geschlechtlichkeiten unter den verdickten Lüften der Nebelländer wuchs sie hervor, die Erkenntnis, Hekatomben röchelnd nach der Einheit des Denkens, und die Stunde der Erfüllung schien gekommen.

Hatte Kartesius noch die Zirbeldrüse für den Sitz der Seele angenommen, da ihr Äußeres dem Finger Gottes: gelblich, langgestreckt, milde und doch drohend, gleichen mochte, so hatten die Hirnphysiologen festgestellt, wann beim Einstich in die Hirnmasse Zucker im Harn, wann Indigo auftrat, ja wann korrelativ der Speichel floß. Die Psychologie hatte den Begleitcharakter des Gefühls zu den Empfindungen erkannt, den ihnen zustehenden generellen Wert der Abwehr des Schädlichen in genauen Kurven festgelegt, die Ablesbarkeit der individuellen Differenzen war vollendet. Die Erkenntnistheorie schloß ab, mit der Erneuerung Berkeleyischer Ideen einem Panpsychismus zum Durchbruch zu verhelfen, der dem Wirklichen den Rang kondensierter Begriffe in der Bedeutung geschlechtlich besonders betonter Umwelt zum Zwecke bequemer Arterhaltung zuwies.

Dies alles gilt als ausgemacht, sagte sich Rönne. Dies wird seit Jahrfünften gelehrt und hingenommen. Wo aber blieb die Auseinandersetzung innerhalb seiner selbst, wo fand die statt? Ihr Ausdruck, das Sprachliche, wo vollzog sich das?

Unter Grübeln trat er vor ein Feld mit einem Mann, den er aus der Anstalt mitgenommen hatte:

„Mohn, pralle Form des Sommers“, rief er, „Nabelhafter: Gruppierend Bauchiges, Dynamit des Dualismus: Hier steht der Farbenblinde, die Röte-Nacht. Ha, wie Du hinklirrst! Ins Feld gestürzt, Du Ausgezackter, Reiz-Felsen, ins Kraut geschwemmt, — und alle süßen Mittage, da mein Auge auf Dir schlief letzte stille Schlafe, treue Stunden — — An Deiner Narbe Blauschatten, an Deine Flatterglut gelehnt, gewärmt, getröstet, hingesunken an Deine Feuer: angeblüht!: nun dieser Mann —: auch Du! Auch Du! — — An meinen Randen spielend, in Sommersweite, all mein Gegenglück — und nun: wo bin ich nicht?“

Wo bin ich nicht, dachte er, und wandte sich in der Richtung nach der Anstalt, und wo tritt das Ereignis nicht in das Gegebene? Da unten sind Zimmer. An Tischen sitzen Männer, Direktoren und Beamte, zwischen Denkanstößen geht der Zahnstocher hin und her.

Aus Ereignissen des täglichen Daseins und Rennberichten spielt der psychische Komplex sich ab. Es tritt auf das Befremdende, das Abweichende, ja bis zum Widersprechenden stellt es sich ein. Wachgerufen wird in den Bewußtseinsabläufen das Bestreben, das Ungeklärte zu entwirren, das Zweifelhafte sicherzustellen, der Überbrückung des Zwiespalts gilt das Wort. Es tritt die Erfahrung hervor, Beweis und Abwehr gibt sie an die Hand; und die Beobachtung, hier und da gemacht, wenn auch nicht eindeutig, soll sie völlig wertlos sein? Schon weicht das Dunkle. Schon glättet sich das Krause, und daß kein Widerspruch mehr besteht, nun blaut es herab.

Immer blaut bald etwas herab, zum Beispiel der Kalbsbraten, den doch jeder kennt. Jäh tritt er an einem Stammtisch auf, und es ranken sich um ihn die Individualitäten. Geographische Besonderheiten, Eigentümlichkeiten des Geschmacklichen werden hervortreten, der Drang zur Nuance um ihn sein. Es wird branden der Streit und das Erschlaffen, der Angriff und die Versöhnung um den Kalbsbraten, den Entfesseler des Psychischen.

Und das Morgendliche, wem begegnet es? Einer Frau, die sich außergewöhnlich in der Frühe erhebt; alle Kühle und sein Tau rinnen in das Wesen, das schreitet. Weiterleitung tritt ein, ein Ausruf wird erfolgen, Bestände von Erzählungen über frühe Gänge werden gebildet: — Überall stehen die Verarbeitungsbehälter und was und wird, ist längst geschehen.

Wann gab es Umströmte? Ich muß alles denken, ich muß alles zusammenfassen, nichts entgeht der logischen Verknüpfung. Anfang und Ende, aber ich geschehe. Ich lebe auf dieser Insel und denke Zimtwälder. In mir durchwächst sich Wirkliches und Traum. Was blüht der Mohn, wenn er sich entrötet; der Knabe spricht, aber der psychische Komplex ist vorhanden, auch ohne ihn. —

Die Konkurrenz zwischen den Associationen, das ist das letzte Ich — dachte er und schritt zurück zur Anstalt, die auf einem Hügel am Meere lag. Hängt aus meiner Tasche eine Zeitung, ein buchhändlerisches Phänomen, bietet es Anknüpfungen zu Bewegungsvorgängen an Mitmenschen, sozusagen zu einem Geschehnis zwischen Individualitäten. Sagt der Kollege, Sie gestatten das Journal, liegt ein Reiz vor, der wirkt, ein Wille, der sich auf etwas richtet, motorische Konkurrenzen, aber jedenfalls immer das Schema der Seele, die Vitalreihe ist es, die die Fallen stellt.

Wir sind am Ende; fühlte er, wir überwanden unser letztes Organ. Ich werde den Korridor entlang gehen, und mein Schritt wird hallen. Denn muß im Korridor der Schritt nicht hallen? Jawohl, das ist das Leben, und im Vorbeigehen ein Scherzwort an die Beamtin? Jawohl, auch dies! —

Da landete das Schiff, das alle Wochen an die Insel kam, und mit den Gästen stieg eine Frau ans Land, die eine Weile hier wohnen wollte.

Rönne lernte sie kennen, warum sollte er sie nicht kennen lernen: einen Haufen sekundärer Geschlechtsmerkmale, anthropoid gruppiert.

Aber bald fragte er sich beunruhigt, ich suche ihren Umgang, doch das Denkerische ist es nicht, was aber ist es? Sie ist mittelgroß, blond, mit Wasserstoff gebleicht und grau an den Schläfen. Ihre Augen liegen in der Ferne, unverrückbar grau von Nebel die Pupille — aber ich spüre es wie Flucht, ich muß sie beformeln:

Ihr Wesen: sie liebt weiße Blumen, Katzen und Kristalle und sie kann des Nachts allein nicht schlafen, denn sie liebt es so, ein Herz zu hören, wo aber soll das Prinzip ansetzen und die Zusammenfassung erfolgen? Nie begehrt sie eine Zärtlichkeit, aber wenn man sich ihr nähert, tritt man unter das Dach der Liebe, und plötzlich steht sie über mir in einer Stellung; die ihr Schmerzen machen muß, unbeweglich und lange — — welch erschütternde Verwirrung!

Witternd Gefahr, hörend aus der Ferne einen Strom, der herangurgelte, ihn aufzulösen, schlug er um sich die soziologischen Bestände.

Wie, auf der Nachbarinsel war die Hirse stockig? War es gut gehandelt an dem kleinen Mann? Wo blieb Redlichkeit und Bruderkuß? Wenn die verging, was blieb? — Oder: wirklich hingegeben an die übliche Menge gemahlenen Tees, in einer Flasche geschüttelt, gefüllt, gekorkt und nochmals geschüttelt, und die übermittelt dem Bekannten, dem Nachbar oder dem Wißbegierigen redlichen Sinnes und helfender Gesinnung, was blieb dann noch der Verführung zugänglich; er, der schlichte Schamträger in seiner staatlichen Verquickung, — nun durfte wohl Friede sein, endlich, ja?

Aber schon wieder war die Lockung da, die Frau, das Strömende, und befreit atmete er der Wärterin entgegen, die kam: ein krankes Knie! Wie verdichtet es sich zur Wirklichkeit. Welch starke Formel! Amtlich verpflichtet zur Anerkennung meinerseits! Kniekrankheiten, Schwellungen, Entzündungsvorgänge. — Fester Boden — Männlichkeiten!

Dann wieder: Jede Erscheinung hat ihr oberstes Prinzip, und er schritt getröstet an den Strand; es gilt nur festzulegen, welches das ihre ist; das System ist allgütig, es enthält auch sie. Es enthält auch sie, die keine Treue und keinen Wortbruch kennt, die zur Stunde nicht kommen kann, weil die Fischerin eine Angel trug, und die Salpen glänzten — Erfahrung sammeln, Deduktionen, sein stiller Himmel auch über ihr! Aber dann: Ihre Hüfte, wenn sie neben ihm ging, rauschte wie das Sinnlose und ihre Schulter war behaart vom Chaos.

Tiefer warf er sich über seine Bücher, hämmernd seine Welt. Aber wie? In den angesehendsten naturwissenschaftlichen Journalen konnten neuerdings Raum finden, ja anerkennend besprochen werden Arbeiten dieses eigentümlichen Inhalts?

Das Werk eines unbekannten jüdischen Arztes aus Danzig, der wörtlich über die Gefühle aussagte, daß sie tiefer reichten als die geistige Funktion? Daß das Gefühl das große Geheimnis unseres Lebens sei und die Frage seiner Entstehung unbeantwortbar?? Um es vollends zu Ende zu denken: das Gefühl gehöre nicht mehr zu den Empfindungen??

Wußte er denn, was es bedeutete, wenn die Gefühle nicht mehr vom Reiz abhingen, wie er, Rönne, gelernt; wenn er sie den dunklen Strom nannte, der aus dem Leibe brach? Das Unberechenbare?

Wußte der Verfasser wohl, vor welche Fragen die Konsequenzen seiner neuen Lehre führten, wußte dieser völlig unbekannte Mann wohl die ganze Schwere seiner Behauptung, die er ohne jede Ankündigung, ohne Sichtbarmachung auf dem Titelblatt einfach in einem Buch mit farblosem grauen Deckel in die Welt schickte, wußte er vielleicht, daß er die Frage beantwortete, ob es Neues gäbe?

Rönne atmete tief. War dies etwa schon eine neue Wissenschaft, die nach ihm kam? Jede Befruchtung enthielte den Keim eines unerhört Neuen, der Zusammentritt von Einheiten war in der Generationsfolge fortgesetzt in der Gestalt der Zweigeschlechtlichkeit, und in ihr galt es, die gewaltige schöpferische Macht anzuerkennen, die das Leben zur Höhe erhoben hatte?

Rönne bebte. Er sah nochmals auf das Journal, das die Besprechung gebracht hatte, auf den Namen des Referenten, der die Kritik gezeichnet hatte: er war sein Lehrer gewesen.

Schöpferischer Mensch! Neuformung des Entwickelungsgedankens aus dem Mathematischen ins Intuitive —: was aber wurde aus ihm, dem Arzt, gebannt in das Quantitative, dem beruflichen Bejaher der Erfahrung?

Trat er vor einen Rachen, und die Schwellung war bedrohlich — war sie intuitiv coupierbar? mußte er sich nicht zusammenraffen zu analytischen Phänomenen, Empirien, zielstrebigen Gesten, dem ganzen Grauen bejahter Wirklichkeiten, zu einer Hypothese von Realität, die er erkenntnistheoretisch nicht mehr halten konnte, um des Kindes willen, das schon blau war, des Rachens halber, der erstickte, und der Geld abwarf und von Amts wegen?

Plötzlich fühlte er sich tief ermüdet und ein Gift in seinen Gliedern. Er trat an ein Fenster, das in den Garten ging. In dem stand schattenlos die Blüte weiß, und voll Spiel die Hecke; an allen Gräsern hing etwas, das zitterte; in den Abend lösten sich Düfte aus Sträuchern, die leuchteten, grenzenlos und für immer.

Einen Augenblick streifte es ihn am Haupt: eine Lockerung, ein leises Klirren der Zersprengung, und in sein Auge fuhr ein Bild: klares Land, schwingend in Bläue und Glut und zerklüftet von den Rosen, in der Ferne eine Säule, umwuchert am Fuß; darin er und die Frau, tierisch und verloren, still vergießend Säfte und Hauch.

Aber schon war es vergangen. Er fuhr sich über die Augen. Schon sprang der Reifen wieder um seine Stirn und eine Kühle an die Schläfen: was lag denn hier vor? Er hatte mit einer Frau zusammengelebt und hatte einmal gesehen, daß sie Rosenblätter, die welkten, von einer Kante zusammengelesen hatte, zusammen zu einem kleinem Haufen auf einen gesteinten bunten Tisch, dann setzte sie sich wieder, verloren an einen hellen Strauch. Das war alles, was er wirklich von ihr wußte; der Rest war, daß er sich genommen war, es rauschte und er blutete — — — aber wo führte das hin?

Hart wurde sein Blick. Gestählt drang er in den Garten, ordnend die Büsche, messend den Pfad. Und nun kam es über ihn: er stand am Ausgang eines Jahrtausends, aber die Frau war stets; er schuldete seine Entwicklung einer Epoche, die das System erschaffen hatte, und was auch kommen mochte, dies war er!

Fordernd jagte er seinen Blick in den Abend und siehe, es blaute das Hyazinthenwesen unten Duftkurven reiner Formeln, einheitliche Geschlossenheiten, in den Gartenraum; und eine versickernde Streichholzvettel rann teigig über die Stufen eines Anstaltgebäudes unter Glutwerk berechenbarer Lichtstrahlen einer untergehenden Sonne senkrecht in die Erde. — MSB8RMhLlQC3xPqmWhUjlXiVz2RjGnYCiDrB0azdioyHgEnkuC2WDd+VOEfw0yt1

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